London

Jacob hatte vieles erwartet, er hatte sich sogar vorgestellt Evie weinend vorzufinden und das war schon ziemlich utopisch. Was er allerdings nicht erwartet hatte, war, dass er auf die Frau treffen würde, die er am Vorabend in der Bar kennengelernt hatte. Misstrauisch beäugte er sie, ehe er sein Adlerauge aktivierte und feststellte, dass er umzingelt war. Es waren Templer und sie waren überall, sogar auf den Holzpfosten über ihm befanden sich zwei Schützen. "Wo ist meine Schwester?" ,fragte er eindeutig wütend nach - sogar mehr als nur wütend. Wenn irgendeiner von denen Evie auch nur ein Haar gekrümmt hatte, würde es ein Blutbad geben. Jacob umfasste den Griff seines Khukuri und wartete auf eine Antwort, sowie eine Reaktion der Templer. Er versuchte sie mit Hilfe seines Adlerauges zu zählen und stellte fest, dass sie deutlich in der Überzahl waren. In jeder Ecke verkrochen sich zwei, hinter der Tür war einer, über ihm waren zwei und hinter ihm brachten sich gerade zwei weitere in Stellung. Hoffentlich waren diese Kerle genauso schlechte Kämpfer, wie die beiden Männer aus der Bar. Leider war das mehr als nur unwahrscheinlich, denn diese Templer trugen eine bestimmte Uniform, die sie als 'Elite' kennzeichneten. Jacob hatte eine verschwindend geringe Chance auf einen Sieg, aber für seine Schwester würde er es wenigstens versuchen.

Seine Schwester hatte keinen Grund Selbstmord zu begehen, das war ihm klar. Aber bei so einem Brief musste er einfach handeln. Vielleicht hätte er es anders tun sollen: Vom Dach aus beispielsweise, anstatt einfach so durch die Tür zu platzen. Aber er war panisch gewesen und auch seine Wut trug dazu bei, seine Handlungen noch unüberlegter zu machen, als sonst. "Lass sie gefälligst frei." ,knurrte er, während er die Klinge aus der Halterung zog und auf Lilith zuging. Bereit, anzugreifen oder mögliche Angriffe abzuwehren.
Dazu kam er aber gar nicht erst: Er wurde gegen die Wand gedrückt und verlor wegen der Wucht des Aufschlags seine Waffe aus den Händen. Was war das?! Noch seltsamer war es, dass er sich auch danach nicht bewegen konnte, so als wäre er an der Wand festgekettet. Erst tauchte ein Pirat auf und jetzt das. Was war bloß mit London los? Und wen genau wollte Lilith leiden lassen? Seine Schwester etwa? Er konnte Evie nicht sehen, selbst mit dem Adlerauge nicht. Natürlich bereitete ihm das Sorgen. Was hatten diese Templer-Bastarde mit ihr angestellt!?
Jacob wünschte sich wirklich, er hätte Edward mitgenommen. Er hatte aber keine Zeit mehr gehabt ihn zu wecken, schließlich hatte er nicht gewusst, wie alt der Brief war. Vielleicht würde Edward den Zettel lesen und hierher finden? Leider kannte sich der Pirat nicht in dieser Stadt (oder Zeit) aus. Es blieb ihm also nichts übrig, als auf den richtigen Moment zu warten. ... das war normalerweise Evies Job. Vielleicht konnte er etwas ausrichten, wenn er irgendwie an seine Waffe kommen würde...

Als Edward Jacob endlich mit seinem Adlerauge sehen konnte, fluchte er innerlich. Wie konnte dieser Kerl nur so leichtfertig in eine Falle laufen!? Zugegebenermaßen handelte auch er selbst oftmals überstürzt, aber Jacob hätte sich wenigstens die Zeit nehmen können, um das Haus zu untersuchen, bevor er einfach so reinplatzte.
Nachdem Edward aufgestanden war und bemerkt hatte, dass die beiden Zwillinge nicht im Haus waren, hatte er beschlossen, sich ein wenig in der näheren Umgebung umzusehen. Vor der Tür hatte er allerdings einen etwas demolierten Zettel gefunden, der seine Pläne veränderte. Edward hatte verschiedene Passanten nach dem Weg gefragt (was sich als gar nicht so einfach herausgestellt hatte, denn sie hörten einfach nicht damit auf, ihn anzustarren) und war schließlich - mehr schlecht als recht - beim richtigen Gebäude angekommen.
Er kletterte auf das Dach und bemerkte ein Loch, durch welches er ins Innere der Halle - auf einen der waagerechten Holzbalken - gelangen konnte. Die Templer waren zu beschäftigt damit, Jacob zu beobachten, weshalb sie ihn glücklicherweise nicht bemerkten. Edward nutzte den Moment, um die Situation zu analysieren und staunte nicht schlecht, als Jacob mit Leichtigkeit gegen eine Wand geworfen wurde. Er brauchte eindeutig Hilfe.
Der Blondhaarige griff nach seinem Blasrohr und den Berserkerpfeilen, schoss damit auf zwei der Templer. Beide von ihnen waren in der Nähe der Frau, die gegen Jacob kämpfte, und griff sie kurz danach an. In diesem Moment preschte Edward nach vorne und schubste die beiden Templer, die ebenfalls auf dem Balken standen, nach unten. Erst dann zog er zwei seiner Pistolen, um mit jeder von ihnen einen weiteren Templer auszuschalten.


Jacob murmelte ein leises 'fuck', als er erneut gegen die Wand geworfen wurde. Wie konnte Lilith so stark sein? Und was waren das für seltsame telekinetische Kräfte!? Er hasste es, dass er scheinbar nichts unternehmen konnte und noch mehr hasste er es, dass er nicht wusste, wo seine Schwester war. "Ich bin nicht hier, um deine verdammte Lebensgeschichte zu hören!" ,erwiderte Jacob wütend und rappelte sich wieder auf - er wollte endlich einen Gegenschlag ausüben!
Bevor er dies jedoch tun konnte, fingen plötzlich zwei der Templer an, Lilith anzugreifen. Was war denn jetzt los? Von oben stürzten zwei weitere Templer auf den Boden und Schüsse fielen. Als Jacob nach oben schaute und den anderen Assassinen erblickte, konnte er nicht anders, als zu grinsen. Payback-time...
Während Lilith mit ihren beiden verrückt gewordenen 'Verbündeten' zutun hatte, schaltete Jacob die drei aus, die den Ausgang bewachten, mit einpaar weiteren Schüssen tötete Edward die Restlichen - wie viele Pistolen hatte der Typ eigentlich?
Jeder halbwegs intelligente Mensch wäre wahrscheinlich so schnell wie möglich abgehauen, aber Jacob kehrte dem Ausgang seinen Rücken zu und konzentrierte sich wieder auf Lilith. Er würde nicht gehen, bis er wusste, wo seine Schwester war. Selbst, wenn ihm das sein Leben kosten würde.

"Komm sofort zurück, Miststück!" ,rief Jacob, als Lilith verschwand und trat dabei mit Wucht gegen einen bereits toten Templer. Während Edward sich fragte, was genau diese Frau überhaupt war und warum sie Flügel bekommen hatte, hatte Jacob bloß seine eigene Wut im Sinn. Kein Wunder also, dass der Engländer kurz danach aus dem Gebäude rannte. Momentan glich er einer tickenden Zeitbombe, der man sich lieber nicht nähern sollte, wenn man sein Leben nicht vorzeitig beenden wollte. "Evie!?" Es hatte angefangen zu regnen, was die Suche nach seiner Schwester nicht unbedingt leichter machte. Er zog die Kapuze über seinen Kopf - den Zylinder hatte er schon lange zusammengefaltet und in seine Tasche gestopft.
Inzwischen war er an einem Gewässer angekommen, da Lilith etwas vom 'Schwimmen' erwähnt hatte, aber er konnte seine Schwester noch immer nirgends entdecken. "Evie?" Mit einem 'Fuck!' schlug er mit seiner Faust gegen die nächste Hauswand, um wenigstens ein wenig Frust loszuwerden. Er hätte nie gedacht, dass er einmal soviel Angst um seine Schwester haben würde. Sein Kopf schwirrte von all seinen Gedanken. Wo war Evie? Ging es ihr gut? Was, wenn sie tot war? Was, wenn er sie nicht finden würde?


"He, Jacob! Warte!" ,versuchte Edward den anderen Assassinen aufzuhalten, aber er hatte das Gebäude bereits verlassen und war über alle Berge verschwunden.


Als André Liliths wütende Stimme hörte, ging er schnellen Schrittes zu ihr. Irgendetwas muss schiefgelaufen sein. "Was ist los?"

Jacob biss wütend die Zähne zusammen, als er Lilith verdammt nervige Stimme hörte. Seine Hand lag noch immer auf der Wand, er stand mit dem Rücken zur Dämonin. Bei ihren Worten wurde seine Wut nur noch größer und er musste sich wirklich beherrschen, ihr kein blaues Auge zu verpassen. Er hatte schon eine Person, die ihn dauernd einen Idioten nannte und brauchte sicherlich keine zweite. Mit einer schnellen Bewegung zog er seinen Revolver und zielte damit auf Lilith, während er sich in ihre Richtung drehte. "Du hältst dich wohl für besonders wichtig, huh? Mich interessiert nicht was oder wer du bist - meinetwegen kannst du auch die Queen höchstpersönlich sein. Aber ich schwöre: Wenn du meiner Schwester auch nur ein Haar gekrümmt hast, wirst du es verdammt nochmal bereuen - egal, ob Dämon oder nicht." Jacob glaubte ihr, dass sie ein Dämon - oder was auch immer - war, schließlich hatte er ihre Kräfte im vorherigen Kampf gesehen. Außerdem kannte er schon genügend andere 'magische' Dinge. Bisher waren es zwar nur Gegenstände gewesen, aber warum sollte es nicht auch eine Person sein?

Jacob warf ihr einen giftigen Blick zu, als sie seine Wange berührte. Was fiel ihr eigentlich ein so zu reden, als wäre sie seine Verbündete? Vorhin hatte sie noch versucht ihn umzubringen und hätte es sicherlich auch getan, wenn Edward nicht aufgetaucht wäre. Außerdem war sie doch diejenige, die seine Schwester überhaupt erst entführt hatte. Am liebsten hätte er abgezogen und ihr eine Kugel durch den Kopf gejagt - das wäre wohl auch das Schlauste gewesen, schließlich konnte er dieser Frau nicht trauen. Aber da das sein einziger Hinweise auf Evies Aufenthaltsort war, steckte er seine Waffe wieder weg. "Ah. Und wie genau könntest du mir 'helfen'?" ,fragte er schließlich nach, wobei seine Stimme mehr genervt als misstrauisch klang. "Und was soll das bitte heißen, dass ich 'ohne sie nicht so gefährlich bin'!?" Er wusste, dass die Situation ernst war und er nahm sie auch ernst, aber er konnte nicht anders, als diese Frage zu stellen. Klar, Evie war die Meisterassassin, aber er war erfahrener in Kämpfen auf der offenen Straße. Auch wenn sie zusammen sicherlich ein gutes Team bildeten, brauchte er sie nicht, um ein erfolgreicher Assassine zu sein. Was natürlich nicht hieß, dass er sie nicht gerne um sich hatte. Sie war schließlich seine Zwillingsschwester und obwohl sie verschiedene Ansichten hatten und es ihn nervte, dass sie ihn immer auf seine Fehler aufmerksam machte, war sie ihm doch sehr wichtig.

"Spar' dir deinen Sarkasmus und deine Spielchen. ... Du bist verdammt nervig." ,murrte Jacob. Er wusste nicht, was er machen sollte - was ziemlich selten vorkam, da er normalerweise nicht über sein Handeln nachdachte. Sie bot ihm Hilfe an und doch war er sich sicher, dass diese nicht umsonst sein würde. Außerdem könnte es sich um eine weitere Falle handeln, ein Hinterhalt. Sie war schließlich eine Templerin und hatte absolut keinen Grund ihm zu helfen. Verdammt. Er hasste es, über so etwas nachzudenken, denn letztendlich klang jede Antwort und jede Möglichkeit falsch. Wahrscheinlich überließ er Evie deshalb das Denken. "Was willst du für deine Hilfe?" ,fragte er schließlich nach. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass eine Templerin, die ihn vorhin fast getötet hatte, ohne jeglichen Hintergedanken helfen wollte. Normalerweise hätte er sie längst angegriffen, allerdings ging es hier um seine Schwester und auch Liliths Fähigkeiten waren ein Grund dafür, dass er sich zurückhielt. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass er am liebsten irgendjemanden oder irgendetwas umbringen würde, einfach nur, um ein wenig Spannung und Wut loszuwerden. Wütend - und das war er momentan - konnte er sowieso nicht klar denken, zumindest nicht außerhalb es Kampfes. Dazu kam, dass seine Geduld langsam ein Ende fand. Er konnte nicht ewig hier stehen und sich mit der Dämonin unterhalten, er musste weiter suchen - mit oder ohne ihre Hilfe.
Vielleicht könnte er die Rooks losschicken, um ebenfalls Augen und Ohren offen zu halten. Wenn Lilith den Entführer kannte, handelte es sich wahrscheinlich um einen Templer. Jacob musste also nur - so dumm es auch klang - in das Hauptquartier der Templer einbrechen und nach ihr suchen, dabei so viele Templer wie möglich töten und aufpassen, dass er nicht selbst gefangen genommen wurde.

"Oh, aber ich werde dafür sorgen, dass das 'Gras in Blut getränkt ist' " ,murmelte er, ehe er sich ihr Angebot noch einmal durch den Kopf gehen ließ. So eine Art von 'Bezahlung' hätte er sich wirklich denken können, dennoch überraschte es ihn, dass einige der Geschichten über Dämonen wohl etwas Wahres beinhalteten. Leider fühlte er sich vom Lesen nie wirklich angezogen, weshalb er nicht sehr viel Wissen über irgendwelche Wesen aus der Hölle hatte. Er wusste nicht was passieren würde, wenn er Lilith seine Seele geben würde - würde er sterben? Würde er ihr gehorchen müssen? Er wusste auch nicht, ob Lilith die Absicht hatte ihn reinzulegen, ihn anzulügen. Was er allerdings wusste war, dass er Evie nicht (und unter keinen Umständen - jemals) sterben lassen würde und dass er es sich nicht verzeihen könnte, wenn er nicht alles versucht hätte, um sie zu finden. "Na gut. Deal." ,entschied er schließlich und plötzlich schien die Redewendung 'einen Deal mit dem Teufel eingehen' eine völlig neue Bedeutung zu haben. Jacob war sich sicher, dass er diese Entscheidung in kurzer Zeit bereuen würde, aber er war wütend, besorgt, ungeduldig und hatte momentan keine Lust über sein vorschnelles Handeln nachzudenken. "Und?" ,meinte er, "Was bedeutet das jetzt?" Er sprach damit den 'Verkauf seiner Seele' an und was es für Auswirkungen auf ihn hatte. Wahrscheinlich hätte er diese Frage vorher stellen sollen, aber besser zu spät als nie. Außerdem hatte er das Gefühl, dass Lilith ihm sowieso nicht geantwortet hätte.